queeristics.de: Die Illustratorin Chris Campe im Gespräch mit Rosa Reitsamer über ihr Projekt queeristics.de - drawn from a queer perspective.
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Chris, kannst du dich bitte kurz vorstellen?
Ich heiße Chris Campe, habe in Hamburg Illustration studiert und habe seit ungefähr vier Jahren, die Website queeristics, mit der ich meine Zeichnungen zum Thema Gendernormen und visuelle Codes dokumentiere
Bist du über das Illustrationsstudium zum Zeichnen gekommen?
Nein, ich hab schon als Kind viel gebastelt und gezeichnet. Mit 16 war ich ein Jahr in den USA, dort hatte ich zwei Kunstkurse pro Tag und eine Aufgabe war, regelmässig ein Skizzenbuch zu führen. Zeichnen war das einzige, das ich immer wieder probiert habe, obwohl ich nie mit den Ergebnissen zufrieden war und deswegen habe ich es dann auch studiert.
Wie bist du dazu gekommen, dich mit Geschlecht und Geschlechternormen zu beschäftigen?
Das war eher ein Weg von der Praxis zur Theorie. Als ich nach Hamburg zum Studium gekommen bin, bin ich schnell in eine lesbisch-queere Szene reingekommen. Beim Studium war das nicht so ein Thema, wir mußten unsere Bilder nie wirklich theoretisch untermauern oder erklären. Ich ich hatte Freunde, die Gender Studies studierten habe alleine angefangen, Theoriekram zu lesen. An der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg habe ich dann ein Seminar von Renate Lorenz über queere Kunst, Theorie und Politik besucht und mich beim lesen immer gefragt, wie sich die Beschäftigung mit Theorie in meinen Zeichnungen niederschlägt.
Machst du neben den Zeichnungen auch Comics?
Ich war ich ein Jahr in Paris, war aus der Ferne total in eine Frau verknallt und hab darüber ein A5-Format-Heftchen mit 16 Seiten . Das würde ich heute nicht mehr so machen, weil es mir zu ungefiltert und zu direkt ist. Damals dachten die Leute, dass ich die Figur sei und sie haben nicht verstanden, dass es natürlich auch eine Fiktion ist. Das war ziemlich anstrengend. Ich finde Comics-Zeichnen auch sehr langwierig und mache mittlerweile eher Serien von Zeichnungen, die aber keinen Heftcharakter haben und auch keine Sequenzen mit Sprechblasen sind.
Siehst du deine Zeichnungen als ein Mittel, um ein queer-feministisches Bewusstsein zu schaffen?
Ja, das ist eine meiner Hoffnungen und ich glaube, das funktioniert in zwei Richtungen: Einmal, dass zum Beispiel Leute, wissen, warum sich eine Person die Brust abbindet, in meinen Bildern einen Wiedererkennungseffekt haben. Dass sie erkennen, dass sie gemeint sind und ihre_unsere Welt, die oft nicht repräsentiert wird.
Auf der anderen Seite hoffe ich, über die Ästhetik und die zeichnerische Ebene Leute anzusprechen, die sich eher für’s Zeichnen im Allgemeinen interessieren. Sie finden meine Zeichnungen vielleicht gut und beginnen dann möglicherweise, sich auch mit dem Thema gender normen zu beschäftigen.
Ich denke, es kommt auch darauf an, wo deine Zeichnungen zu sehen sind. Das wäre meine nächste Frage: Wo zirkulieren deine Zeichnungen? Wo stellst du sie aus?
Ich habe Teile von den Zeichnungen, die auf der Webseite zu sehen sind, in kleineren Ausstellungen gezeigt. Das waren subkulturelle Zusammenhänge und in diesen Kontexten zirkulieren meine Zeichnungen auch. Ich bin öfter auf feministisch-queeren Festivals und Veranstaltungen zeichne dort, wodurch sie dann auch dort ausgestellt werden. Dabei kann einerseits das Zeichnen als Prozess gesehen werden, andererseits aber auch die Zeichnungen selbst.
Machst du auch Auftragsarbeiten wie zum Beispiel Illustrationen von Büchern?
Im Moment lebe ich eher von Grafik- und Layoutaufträgen, aber eigentlich will ich gerne als Illustratorin vor allem für Zeitschriften arbeiten, durchaus aus für Mainstream-Frauenzeitschriften. Ich denke darüber gerade nach, wie das eigentlich funktionieren könnte, dabei nicht wieder Stereotype zu reproduzieren, sondern sie aufzuweichen. Darum geht es mir auch generell beim Zeichnen: Muss ich, um Frauen oder Männer erkennbar zu machen, immer dieselben visuellen Verkürzungen benutzen oder kann ich das auch offener halten? Wird das von den Auftraggeber_innen akzeptiert oder wollen sie, dass die abgebildeten Figuren immer ganz klar erkennbar sind? queeristics ist im Grunde ein persönliches und nicht-kommerzielles Forschungsprojekt, aber die Reflexionen von queeristics fließen auch in meine Auftragsarbeiten als Illustratorin ein. Auf meiner Webseite christinecampe.de sind diese kommerzielleren Illustrationen zu sehen. Anfangs dachte ich, dass ich queeristics und christinecampe.de ganz klar trennen muss, aber inzwischen vermischen sich die Zeichnungen aus beiden Bereichen und überlappen zum Teil auch.
Hast du visuelle Strategien für das Aufbrechen von Geschlechtersterotype entwickelt?
Das funktioniert für mich zunächst einmal darüber, dass ich mir klarmache, was denn wie erkannt wird? Es gibt gewisse Sachen wie zum Beispiel, dass ein eckiges Gesicht eher als ein männliches gelesen wird und große Augen eher zur Kennzeichnung von weiblichen Figuren eingesetzt werden. Meine Frage ist, wie ich solche Codes kombinieren kann, um die Wahrnehmung von Geschlechtern offener zu halten.
Meine gezeichneten Figuren sahen immer ziemlich androgyn aus und ich hatte auch keine Lust auf dem T-Shirt zwei Striche zu machen, die dann die Brüste andeuten. Das ist ja oft sehr minimal, zwei Striche mehr bewirken dann, dass die Figur plötzlich einen weiblichen Körper hat aber letztendlich sind es aber nur Linien. An der Kunsthochschule haben die anderen immer gesagt: „Super Zeichnung, aber ist das jetzt ein Junge oder ein Mädchen?“ Die Erkennbarkeit war offenbar sehr wichtig und ich habe mich gefragt woran es liegt, wer was erkennt und ob und wie ich das beeinflussen kann?
In diesem Zusammenhang würde mich interessieren: Hast du dir auch überlegt, wie man nicht-weiße Figuren darstellen kann?
Im Grunde ist das eine ähnliche Frage wie mit der Darstellung von Geschlechtern, weil die Darstellung von Ethnizität, ebenso wie die Darstellung von Geschlecht, über starke Verkürzungen funktioniert. Im Moment scheue ich mich noch davor, Ethnizitäten darzustellen, weil ich noch keine brauchbare Lösung für mich gefunden habe. Die visuelle Auseinandersetzung damit liegt noch vor mir. Es kann möglicherweise ähnlich wie bei der Darstellung von Geschlecht funktionieren, indem verschiedene Elemente so kombiniert werden, dass eine gezeichnete Figur nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Aber ich frage mich auch: Who am I to talk? Ich bin weiß und ich habe mich ziemlich lange nicht wirklich mit Rassismus und was es heißt weiß zu sein auseinandergesetzt. Das ist ein Manko, denn meine Zeichnungen spiegeln nur meine Perspektive zu sehen wider und bisher sind eben alle Figuren weiß
Es gibt auf deiner Website eine Zeichnung, die heißt „Do it Yourself – You can do it too“. Verortest du dich in einer DIY-Kultur?
Stilistisch finde ich meine Zeichnungen nicht so DIY-mässig, also so wie ich das aus Fanzines mit einer stark reduzierten Darstellungsweise kenne. Ich glaube, ich habe eine Nähe zur DIY-Kultur, aber ich habe das „Gut-Zeichnen“ durch die Kunsthochschule sehr aufgenommen und hier gibt es teilweise Diskrepanzen zu einer DIY-Kultur, die kaum darauf achtet, wo die Knie sitzen oder so. Auf so etwas beim Zeichnen nicht zu achten fällt mir ziemlich schwer (lacht), weil ich offenbar denke, dass meine Zeichnungen auch anatomisch „richtig“ sein müssen. Aber das ist auch so ein Punkt, an dem ich mich ein bisschen abarbeite und wo ich versuche mich ein bisschen „lockerer“ zu machen …
Die „Do-it-yourself“-Zeichnung thematisiert wie man alles selber machen und können soll. Hier geht es um den ganzen Diskurs über Eigenverantwortlichkeit. Das war auch das Thema meines Diploms: Das „unternehmerische Selbst“ und wie es ist, wenn man selbstständig ist und freiberuflich arbeitet, was man da alles können muss und dass man eben selbstverantwortlich für seinen Erfolg ist. Wenn man es noch nicht „geschafft“ hat, dann hat man es einfach noch nicht genug versucht. Mein Diplom besteht aus Illustrationen, aber sie basieren auf umfangreicher Theorielektüre.
Welche Rolle spielt das Internet für? Nutzt du social-networking-Plattformen wie flickr, myspace, Facebook, Twitter?
Ich verweigere Facebook, aber ich gehe im Sommer wieder für ein Jahr in die USA und ich glaube, ich komme dann nicht darum herum. Für queeristics habe ich, bevor ich die website hatte, ein Profil bei myspace angelegt und dort Zeichnungen eingestellt. Ich habe viele andere Profile angeguckt und wie verrückt Freunde gesammelt, die was mit Zeichnung oder queer zu tun haben um das Projekt bekannter zu machen. Das hat eine ganze Weile ganz gut funktioniert, ich bin mit anderen Zeichner_innen, Fanzines , Projekten und Festivals in Kontakt gekommen. Daraus haben sich Kooperationen ergeben und ich habe Leute kennengelernt. Für die queeristics-Sache fand ich myspace ziemlich gut, aber es setzt voraus, dass man sich regelmässig darum kümmert und viel Zeit investiert.
Wie würdest du deinen Feminismus beschreiben? Sind Begriffe wie Second Wave, Third Wave für dich brauchbar und wenn ja, würdest du dich einer bestimmten feministischen Welle zugehörig fühlen?
Ich bezeichne mich als queer-feministisch und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie eine Frau nicht feministisch sein kann. Ich zähle mich zu keiner Welle, Feminismus ist so sehr Alltag für mich. dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie es ohne wäre oder wie es wäre wenn mir bestimmte Sachen nicht auffallen und mich aufregen würden. Es ist so alltäglich, dass ich mich gar nicht mehr so sehr darüber identifiziere. Es wäre sicher nicht bei den ersten drei Dingen, die ich nennen würde um mich selbst zu beschreiben, Aber ich könnte trotzdem gar nicht sagen, was dieser Alltags-Feminismus genau umfasst.
Gibt es einen Feminismus gegenüber dem du dich abgrenzen würdest?
Ja schon, weil es Sachen gibt, die man gerade aus queer-feministischer Sicht total kritisch sehen kann. Ich bin skeptisch, wenn es um einen Feminismus geht, der im Grunde darauf hinausläuft, binäre Strukturen und Hierarchien aufrecht zu erhalten.
Siehst du Verbindungen zwischen Queer-Feminismus und Antirassismus?
Ja, das gehört für mich zusammen. Aber ich denke das noch zu wenig mit, und ich glaube, es wird oft zu wenig mitgedacht, weil Gender-Fragen dann doch häufig im Vordergrund stehen. Dass es bei queer darum geht, alle möglichen Hierarchisierung und ihre Überschneidungen in Frage zu stellen, tritt dann leider in den Hintergrund.
Vielen Dank für das Interview.