Illustration © Nikki McClure

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Ladyfest Hamburg 2003: Ein Interview mit Chris Köver von Elke Zobl via Skype, Februar 2010 (gekürzte Version)

type=interview
Topic: 
Ladyfest
Teaser Image: 

Location

Hamburg
Germany
53° 33' 12.1068" N, 9° 59' 11.6592" E

Könntest du dich bitte kurz vorstellen?

Ich heiße Chris Köver und bin 30 Jahre alt. Ich habe in Lüneburg und Toronto Kulturwissenschaften studiert und mich im Studium bereits sehr viel mit Gender Studies und feministischer Theorie beschäftigt. Danach habe ich angefangen als Journalistin zu arbeiten, erst bei Debug, dann ab 2006 als Volontärin bei Zeit Online, wo ich redaktionell für den Zuender, das junge Netzmagazin der Zeit, verantwortlich war und vor allem über Netz- und Genderthemen geschrieben habe. Seit 2008 mache ich gemeinsam mit Freundinnen und Kolleginnen das MISSY Magazine. Nebenher arbeite ich weiter als freie Journalistin für Zeit, Zeit Campus, Neon und andere.

Du hast das Ladyfest in Hamburg mitorganisiert, aber du warst auch bei einigen anderen Ladyfesten dabei, wie Berlin, Toronto, Wien und Köln. Wie hast du von Ladyfesten gehört und wie bist du dazu gekommen, das erste Ladyfest in Hamburg mitzuorganisieren?

Ich glaube, ich habe zum ersten Mal in der Theorie von Ladyfesten gehört, aus Büchern zu Third Wave Feminism in den USA. Ich kannte auf jeden Fall das Konzept aus dem nordamerikanischen Raum, aber eher auf abstrakter Ebene. 2002 bin ich nach Hamburg gezogen und kannte erst mal fast niemanden. Durch das Studium hatte ich aber gleichzeitig viel Zeit. Als ich erfahren habe, dass ein Ladyfest in Hamburg geplant ist, bin ich dann einfach zu einem der ersten Plena im Frauen-Musik-Zentrum gegangen.

Wie hast du den Organisations- und Entscheidungsprozess erlebt?

Es war ziemlich schwierig. Es war alles sehr basisdemokratisch aufgebaut. Also wir saßen alle zwei Wochen am Wochenende in einem gigantischen Stuhlkreis im Hof des Frauen-Musik-Zentrums und haben endlos diskutiert. Diese Diskussionen dauerten regelmäßig drei, vier Stunden lang, was für ehrenamtliches Engagement wirklich viel ist. Aber es war auf jeden Fall sehr basisdemokratisch, sehr offen, was ich super fand. Es war wichtig, dass jede teilnehmen konnte, was aber auch wieder die Probleme mit sich brachte, dass sehr viele verschiedene Gruppen und feministische Positionen dort aufeinander getroffen sind.

Wie viele waren in der Organisation involviert?

Ich würde sagen, der harte Kern umfasste 20 bis 25 Personen. Das Ganze organisierte sich damals ziemlich stark ums Frauen-Musik-Zentrum herum und deren damalige Leiterin, Steph Klingenborg, die das Ganze initiert hatte.

Die Ladyfeste werden häufig vorwiegend als Musikfestivals rezipiert. Wie siehst du das? Wie war das z.B. in Hamburg?

In Hamburg war es schon sehr musiklastig, aber es war auch ein riesiges Festival, es war wahrscheinlich das größte Ladyfest, bei dem ich jemals war. Da wurde abends zum Teil parallel an fünf verschiedenen Orten Programm gemacht. Allerdings gab es dann auch relativ viel Workshop-Rahmenprogramm und auch eine Kunst-Ausstellung im Vorwerkstift. Ich glaube, es wurden auch Filme gezeigt.

In Wien gab es große Diskussionen um die Raumpolitik und auch in Bezug auf Ladyspace. Habt ihr das auch so reflektiert und bestimmte Strategien entwickelt, wie z.B. niedrige Eintrittspreise, damit dieses Ladyfest möglichst offen ist?

Es gab auf jeden Fall nicht nur eine Antisexismus- sondern auch eine Antirassismus-Policy, also dass generell keine Diskriminierung gegen niemanden stattfinden soll. Außerdem wurde eine Charta erstellt, in der die Regeln des Festes festgelegt wurden, da war das schon alles dabei.

Wie war das Publikum beim Ladyfest Hamburg zusammengesetzt?

Zu den Veranstaltungen konnte und sollte auch männliches Publikum kommen. Im Vergleich mit anderen Ladyfesten fand ich das Publikum bei den Konzerten und Partys in Hamburg auffallend heterogen, also nicht begrenzt auf die queere, feministische, linke oder sonstige Szenen. Da war auch viel Laufpublikum, das einfach Lust hatte, an dem Abend auf der Barkassen Hedi [Partyschiff, einer der Veranstaltungsorte des Ladyfests Hamburg 2003] zu feiern und das wahrscheinlich das Konzept Ladyfest noch gar nicht kannte. Das fand ich sehr gut, weil ich das Gefühl hatte, dass da Leute mit diesem Ladyfest Kontext konfrontiert wurden, die sich sonst gar nicht damit auseinandergesetzt hätten.

Im Vergleich zu anderen Ladyfesten, wo du dabei warst, wie waren dort deine Erfahrungen in Bezug auf Publikum, Programm und Veranstaltungsorte?

In Toronto war ich mit Freunden auf einem Konzert, das im Rahmen des Ladyfests stattgefunden hat. An dem Abend spielte Laura Barrett (http://www.myspace.com/laurabarrett), eine leider nicht so bekannte, aber sehr tolle Künstlerin aus Toronto, und da war dann entsprechend nicht nur queeres, sondern auch ganz normales Indie-Rock Laufpublikum aus der Stadt.

Und wie setzte sich das Publikum in Wien und in Köln zusammen?

In Köln waren wir mit MISSY eingeladen und hatten auch einen Stand im Kulturbunker Mühlheim, wo wir Hefte und Abos verkauft haben. Dort hatte ich den Eindruck, dass die meisten BesucherInnen einen eher linken und queer-aktivistischen Background hatten. Mit MISSY wurden wir da von vielen sehr skeptisch beäugt. Als kommerzielles Magazin waren wir denen vermutlich nicht anti-kapitalistisch genug, viele fanden das Heft auch nicht „queer“ genug, was auch immer sie sich darunter dann vorstellten. Abends fand natürlich auch ein Musik- und Konzertprogramm statt und da war das Publikum ein wenig aufgebrochener. In Wien war ich auf ein paar Konzerten und auf einer Sexparty, die damals im Rahmen des Ladyfests organisiert wurde. Bei den Konzerten war das Publikum recht heterogen, aber auf der Sexparty waren dagegen eher Leute aus einem feministischen, queeren Umfeld.

Wie siehst du den Netzwerk-Aspekt von Ladyfesten, einerseits auf lokaler Ebene und andererseits auf transnationaler Ebene?

Ich habe bei der Organisation in Hamburg damals vor allem mitgemacht, weil ich mich auf lokaler Ebene feministisch engagieren und in der Szene in Hamburg besser vernetzen wollte – und das hat auch sehr gut funktioniert. Ich habe dadurch viele spannende Frauen und Aktivistinnen kennen lernen dürfen, die schon seit Jahren in der feministischen oder queeren Szene in Hamburg aktiv waren, z.B. die Macherinnen der fmz oder von bildwechsel. Diese Kontakte bestehen bis heute. Was bei dem Ladyfest hier in Hamburg schade war, war, dass es so groß geworden ist, dass wir uns eineinhalb Jahre total ausgepowert haben. Als dieses Festival vorbei war, haben 90 % der Leute gesagt: „Bitte jetzt erst einmal für fünf Jahre kein Ladyfest mehr.“ Ich hätte es schöner gefunden, wenn wir es geschafft hätten, ein vielleicht etwas kleineres, aber dafür nachhaltigeres Festival aufzubauen, wie in Wien, wo das Ladyfest in regelmäßigen Abständen immer wieder stattfindet.

Was hältst du von den Begriffen „Lady“ oder „Ladyfest“?

Ich mag den Lady-Begriff ziemlich gerne. Wir benutzen diesen Begriff auch im Freundeskreis. Mit den Begriffen „Girl“ oder „Mädchen“ habe ich ein Problem. Wenn die Idee von Valoration von Mädchensein dahinter steht, dann finde ich die Begriff „Girl Culture“ oder auch „Girlpower“ gut. Ich denke aber, ab einem bestimmten Punkt passt das nicht mehr. Ich selbst sehe mich mit Anfang 30 lieber als Frau denn als Mädchen. Gerade da finde ich den Begriff „Lady“ spannend. „Lady“ ist ja ein sehr offener Begriff. Es gibt diese Formulierung: "If you feel like a lady, be part of Ladyfest". Dadurch ist dieser Begriff – zumindest für mich – vom biologischen Geschlecht losgekoppelt, da geht es eher um ein Mindset und das finde ich sehr schön.

Ist das Ladyfest für dich ein Ausdruck des Third Wave Feminismus?

Ja, zumindest der Ursprung ist für mich ganz klar in dieser Bewegung, in diesem ersten Ladyfest damals in Olympia. Aber genauso wie das Konzept von Mal zu Mal oder von Ort zu Ort angepasst wird, wird sich das Ladyfest auch an veränderte feministische Kontexte anpassen.

Was denkst du, welche langfristigen Effekte ergeben sich aus Ladyfesten?

Ich habe schon das Gefühl, dass das Ladyfest in Hamburg bei vielen Leuten einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Wenn man jetzt mit Leuten darüber spricht, dann erinnern sich fast alle daran - dabei ist es schon echt lange her. Ich hatte schon den Eindruck, dass sich durch das Ladyfest in der Musik- und in der Kulturszene in Hamburg etwas verändert hat, vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie ich mir das gewünscht hätte, aber zumindest hat es einen Grundstein gelegt, indem es bei vielen Leuten zum ersten Mal ein Bewustsein dafür geschaffen hat, wie Geschlechteverhältnisse in die Kultur reinspielen. Allerdings sehe ich bei der Booking-Policy z.B. der Clubs leider noch keine große Veränderung, da werden nach wie vor vor allem männliche Acts gebucht, ohne dass das überhaupt als Problem gesehen würde.

Ladyfeste gibt es jetzt seit zehn Jahren. Vielleicht zum Abschluss ein kurzer Ausblick: Wie denkst du können sich Ladyfeste noch weiterentwickeln?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch in den nächsten zehn Jahren weiter Ladyfeste geben wird, das Konzept ist einfach sehr stark, weil es so ortsbasiert und anpassungsfähig ist. Und gleichzeitig breitet sich der Third Wave Feminismus global immer weiter aus. Eine größere Rolle werden sicher Onlinemedien einnehmen, das hat bei unserem Ladyfest damals noch keine so große Rolle gespielt. Allerdings glaube ich nicht, dass es irgendwann einmal ein komplett virtuelles Ladyfest geben wird. Dafür ist das räumliche Befinden, dass alle an einem Ort zusammen kommen, viel zu wichtig.

Wenn ich darüber nachdenke, wäre das letzte große utopische Ziel ja, dass das Ladyfest mit diesem Konzept irgendwann obsolet sein wird, weil wir auch im Bereich Popkultur eine vollständige Gleichberechtigung erreicht haben und Sexismus, Rassismus, Agismus, wirtschaftliche Ausbeutung usw. kein Thema mehr sein werden. Weil dann alle Festivals, Konzerte, Ausstellungen, Clubabende usw. so wären wie jetzt die Ladyfeste sind. Das fände ich sehr schön.

Links

Missy Magazine: www.missy-magazine.de
fmz: http://www.frauenmusikzentrum.de
bildwechsel: http://www.bildwechsel.org/home.html

Interviewee: 
Chris Köver
Interviewer: 
Elke Zobl
Show on calendar: 
no
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